Digitalisierung: «Die Bereitschaft zur Veränderung muss erarbeitet werden»

Chancen, Herausforderungen und Grenzen – so kann die Digitalisierung die Gesundheitsversorgung verändern

Themen wie Digitalisierung oder Künstliche Intelligenz (KI) werden auch im Gesundheitswesen und der Altersbetreuung immer wichtiger. Wir haben mit der Diplom-Informatikerin der Medizin Elke Albrecht gesprochen und gefragt wohin die «digitale Reise» gehen könnte.

Welches sind die grössten Herausforderungen der Digitalisierung im Gesundheitswesen, können Sie uns einen kleinen Überblick geben?

Elke Albrecht: Es gibt eine Vielzahl an Herausforderungen. Zuvorderst steht sicher der Fachkräfte- bzw. allgemein der Arbeitskräftemangel. Es gibt Annahmen, die besagen, dass bis 2040 bis zu 50 000 Arbeitskräfte im Gesundheitswesen fehlen werden. Dagegen werden die Behandlungen mit der Überalterung der Bevölkerung signifikant zunehmen – insbesondere im ambulanten Bereich. Die Zahl der verfügbaren Fachpersonen stagniert oder wird sogar noch weiter abnehmen.

Wird dadurch das Problem der Finanzierung noch grösser?

Der finanzielle Druck ist heute schon enorm und wird weiter steigen. Hinzu kommen immer neue regulatorische Anforderungen, wodurch die administrative Last weiter zunimmt. Mit dieser Ausgangssituation und der Perspektive eines erheblichen finanziellen und personellen Ressourcenengpasses stellt sich die Frage, ob wir auf einen massiven Versorgungsnotstand zusteuern und wie wir diesem gegensteuern können.

Was bedeutet das für die Spitäler und Heime?

Eine Konsequenz ist, dass die Leistungserbringer wie Spitäler, Alters- und Pflegezentren oder Spitex ihre Effizienz und damit ihre Wirtschaftlichkeit steigern müssen.

Die Digitalisierung bietet dazu entsprechende Opportunitäten, das bedeutet, dass die Leistungserbringer das Potenzial der digitalen Transformation nutzen müssen. Die Herausforderung ist und bleibt die Bereitstellung von ausreichend finan-ziellen Investitionsmitteln dafür.

Welche Rolle spielt der Datenschutz?

Der Datenschutz ist wichtig: Es handelt sich um sensible und besonders schützenswerte Daten von Patienten und Mitarbeitenden.

Dennoch ist es überaus schwierig, wirtschaftlich effiziente und funktional gute Lösungen einzuführen, wenn der Datenschutz zum Beispiel den Gang in die Cloud verhindert oder mit fast unüberwindbaren Hürden und administrativem Aufwand unendlich verzögert. Der Datenschutz ist ein grosser Bremser, wenn nicht gar Verhinderer, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen schneller voranschreitet.

Wie steht es eigentlich mit dem lang ersehnten elektronischen Patientendossier «ePD»?

Das elektronische Patientendossier ist meiner Meinung nach in der jetzigen Form leider gescheitert. Ein grosser Fehler waren die dezentrale Einführung und die überbordenden Datenschutzanforderungen. Das «ePD» müsste strukturierte Daten enthalten, die auch weiterverarbeitet werden können, um endlich die zahlreichen Medienbrüche zwischen den verschiedenen Leistungserbringern (zum Beispiel Spital und Pflegezentrum) überwinden zu können, und keine PDF-Dokumente. Der Bund hat jetzt weitere 30 Millionen Franken gesprochen. Ich hoffe sehr, dass diese in die grundlegende Revision fliessen werden. Diese wird jedoch noch Jahre dauern, und erst gegen Ende der jetzigen Dekade können wir dann allenfalls einen neuen Anlauf nehmen.

Dagegen wäre das «ePD» gerade für die Alters- und Pflegezentren von essenzieller Bedeutung, da die meisten Bewohner oftmals eine ganze Reihe von zumeist chronischen Erkrankungen haben, die entsprechend medikamentös behandelt werden müssen.

«Das elektronische Patiendossier wäre für die Alters- und Pflegezentren von grossem Nutzen.»

Elke Albrecht, CIO und Mitglied der Geschäftsleitung Solothurner Spitäler AG

Elke Albrecht ist CIO und Mitglied der Geschäftsleitung Solothurner Spitäler AG, die alle kantonalen Spitäler mit drei Akuthäusern (Solothurn, Olten und Dornach) sowie Psychiatrie und diverse ambulante Standorte umfasst, und Mitglied des Verwaltungsrates der Genossenschaft Dedica.

Sie hat in Deutschland Medizinische Informatik studiert und begann ihre berufliche Laufbahn bei Ciba-Geigy in Basel, wo sie in der IT verschiedene Führungsrollen einnahm. Bei Novartis übernahm sie als «Global IT Head Pharmaceutical Operations» die fachliche Verantwortung für die IT-Teams in der galenischen Produktion mit verschiedenen Standorten in zwölf Ländern.

Was kommt Ihrer Meinung nach auf die Pflege zu?

Die Herausforderungen und der Druck werden gerade in der Pflege mit einer signifikant steigenden Zahl an Heimbewohnern weiter zunehmen. Somit müssen auch die Alterszentren neue Wege beschreiten, um diese Herausforderungen bewältigen zu können. Dabei spielt die digitale Transformation eine Schlüsselrolle. Sie kann zur Produktivitätssteigerung und somit zur Eindämmung der weiter steigenden Kosten beitragen. Hebelwirkung gibt es hier durch die Elimination von nicht wertschöpfenden Tätigkeiten, vor allem in den administrativen Bereichen, durch Vereinfachung und Automatisierung zum Beispiel durch Software-Roboter, die immer wiederkehrende Datenverarbeitungsroutinen erledigen können.

Zur Bekämpfung des Fachkräftemangels müssen Prozesse und Arbeitsabläufe effizienter gestaltet werden. Auch hier können Routineaufgaben durch automatisierte Systeme und KI übernommen werden, sodass es eine Entlastung der Fachkräfte gibt und folglich mehr Zeit für komplexere und patientenzentrierte Aufgaben übrig bleibt.

Bereits stehen die ersten im Einsatz … wo ergeben Roboter in der Pflege Sinn?

Roboter können dort zum Einsatz kommen, wo es eine direkte Entlastung gibt, zum Beispiel beim Transport von Speisen und anderen Waren oder Medikamenten auf die einzelnen Abteilungen. Ein Roboter kann auch zur Wegleitung innerhalb von Gebäuden eingesetzt werden oder allenfalls für gewisse Erläuterungen zu Behandlungen.

Dennoch kann nicht alles digitalisiert oder gar die Pflege durch Roboter ersetzt werden. Hier spielen die menschliche Komponente und Empathie eine wichtige Rolle.

Die Pflege kann nicht durch Roboter ersetzt werden. Die menschliche Komponente und Empathie spielt eine zu wichtige Rolle.

Wo bringt KI einen Mehrwert im Gesundheitswesen, und wie könnte sie in der Altersbetreuung zum Einsatz kommen?

Einen grossen Mehrwert und Entlastung kann KI bei den umfangreichen Dokumentationsaufgaben der Pflege bringen. Eine Möglichkeit ist der Einsatz zur Prävention, zu Prognosen und zur Früherkennung, beispielsweise bei der Verlaufsanalyse von Vitaldaten zur Beurteilung des Risikos für Komplikationen, um rechtzeitig geeignete Behandlungsmassnahmen einzuleiten.

Zum Beispiel bei der Überwachung von Patientinnen und Patienten oder Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern mit smarten Frühwarnsystemen. Oder auch bei der Behandlung von chronischen Krankheiten wie Diabetes und Herzkrankheiten.

Gibt es weitere Einsatzbereiche?

Ein weiterer Einsatzbereich ist im nicht medizinischen Bereich und bei Managementaufgaben. Zum Beispiel bei Planungs-, Optimierungs-, Analyse- und Prognoseaufgaben. Oder auch bei der Einsatzplanung von Personal und Geräten, bei der generellen Vorhersage von Trends oder bei der Unterstützung bei der Entscheidungsfindung.

Von welchem Zeitrahmen reden wir da?

Ich denke, da kann vieles rasch umgesetzt werden. Kurzfristig bei der Unterstützung von Dokumentation und im administrativen Bereich. Mittelfristig, in einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren, dann auch einiges im medizinischen und pflegerischen Bereich.

Wo sehen Sie die grössten Gefahren?

Gefahren sind einerseits Datenschutz und -sicherheit, das heisst das Risiko des Datenmissbrauchs und ein Mangel an Gesundheitskompetenz, andererseits der Verlust von Mensch-zu-Mensch Kommunikation und damit ethische Fragestellungen. Hier muss man sich immer die Fragen stellen: Was geht, was wollen wir, und was darf man?

Was braucht es, damit die Digitalisierung im Gesundheitswesen und in der Altersbetreuung Vorteile bringt und nicht neue Probleme schafft?

Die Mitwirkung der Mitarbeitenden bei der digitalen Transformation ist essenziell. Es geht hier nicht einfach um die Digitalisierung analoger Prozesse und Informationen durch Anwendung technischer Lösungen, sondern um eine Transformation, die jeden einzelnen Mitarbeitenden betrifft.

Die digitale Transformation ist komplex und erfordert ein breites Fachverständnis, eine hohe Bereitschaft zur Veränderung, strategisches Denken, eine umfassende Planung und eine konsequente Umsetzung.

Das tönt nach einer riesigen Aufgabe …

Ja, es handelt sich um einen umfassenden Prozess samt Strategie, der grundlegende Veränderungen der Geschäfts- und Betriebsmodelle sowie der Organisationskultur mit sich bringt. Dieser nutzt die Technologie, um das Gesundheitswesen durch die Anwendung innovativer Lösungen grundlegend zu verändern. Gleichzeitig geht es um die Transformation des Menschen und die Schaffung neuer agiler Arbeitsformen und medizinischer Leistungsangebote.

Im Zentrum der Digitalisierung stehen also die Mitarbeitenden?

Ein Erfolgsfaktor ist hier sicher das Aufzeigen von Weiterentwicklungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Mitarbeitende zum Aufbau von digitalen Kompetenzen sowie die Etablierung der digitalen Transformation als generelles Mindset auf allen Ebenen der Organisation.

Die digitale Transformation kann einen erheblichen Produktivitätsfortschritt und enorme Vorteile für Patienten, Mitarbeitende und generell für die Versorgung bringen. Gefahr ist jedoch eine unpersönliche Arzt-Patienten- beziehungsweise Pflege-Heimbewohner-Beziehung.

Entsprechende Hürden und Ängste bei Patienten und Bewohnern müssen deshalb überwunden werden.

Ihr Schlusswort?

Digitale Transformation lohnt sich erst auf den zweiten, dann aber richtigen Blick! Die Bereitschaft zur Veränderung muss erarbeitet werden.

Peter Pflugshaupt

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