Halbzeit!

Peter Mattmüller (95) ist ein aufmerksamer Beobachter. Das zeigt sich in seinen Betrachtungen über das derzeitige Provisorium an der Nussbaumallee und die Baustelle an der Worbstrasse. Ein Gespräch mit einem vifen, gescheiten und lebensfrohen Menschen, der Veränderungen mit Neugier begegnet.

Peter Mattmüller weiss bereits, wie der Titel über diesem Artikel lauten soll, bevor das Gespräch überhaupt stattgefunden hat: ‹Halbzeit›. Lächelnd fügt er hinzu, man dürfe ihn natürlich auch abändern. Doch der Titel passt: Die Baustelle direkt vor der Nussbaumallee 2 besteht nun seit 14 Monaten. Die Bauarbeiten rücken planmässig voran, und es dauert nochmals 14 Monate, bis die 45 Bewohnerinnen und Bewohner des Provisoriums wieder in ihre eigenen vier Wände einziehen können. «Es dauert also nicht mehr so lange», sagt Peter Mattmüller in seiner gewohnt bedächtigen Art. Er liebe sein neues Zimmer. «Es ist klein, aber fein», sagt er. «Ich habe hier alles, was ich brauche.» Seine derzeitige Gemütslage beschreibt er mit «mittlerer Zufriedenheit». 

Auch seine Bedenken über das Bad, das er mit seinen zwei Mitbewohnerinnen teilt, hätten sich weitgehend als unnötig erwiesen, obwohl es manchmal Engpässe gebe. «Ich bin Frühaufsteher und um 06.30 Uhr im Bad. Bevor die anderen beiden Damen aufstehen, bin ich bereits ‹putzt und gsträut›.» Die nächtlichen ‹Entrevues›, wie er sie nennt, mit seiner 95-jährigen Nachbarin Frau Habegger nähmen sie mit Humor. Seine 105-jährige Nachbarin, Frau Kunz, verlasse ihr Zimmer nicht mehr so oft, weshalb er sie regelmässig besuche. «Kürzlich haben wir sogar ‹duzis› gemacht», freut er sich. Überhaupt sei mit den beiden Damen, mit denen er die Dreizimmerwohnung teilt und die ab 2020 als Alterswohnung dienen soll, gut auszukommen.

Anpassungsfähig bis ins hohe Alter

Er sei positiv überrascht, wie die meisten Bewohnerinnen und Bewohner des Provisoriums den Umzug vor einem guten Jahr gemeistert hätten. «Es verwundert mich, wie anpassungsfähig man noch im hohen Alter ist.» Zudem windet er den Leiterinnen Franziska Glaus und Barbara Gäumann ein Kränzchen für den gelungenen Umzug. Den hätten sie toll organisiert und sich im Vorfeld viele Gedanken darüber gemacht, wer zu wem passe. Er selber wäre ausgetreten, wenn er kein eigenes Zimmer erhalten hätte, gibt er unumwunden zu. «Es ist beinahe ein Grundrecht, dass ein Mensch im Alter einen Raum hat, wohin er sich zurückziehen und still sein kann.» Er weiss um sein Privileg und dass es nicht bei allen Mitbewohnern so gut um ihre ‹mittlere Zufriedenheit› steht.

Beispielsweise dort, wo ein grosses Zimmer nur durch Trennwände unterteilt ist und die eine Bewohnerin durch den Zimmerteil der Nachbarin gehen müsse, sei ein hohes Mass an Toleranz und Akzeptanz gefordert. Schade findet er auch, dass im Provisorium kein richtiges Gemeinschaftsgefühl mehr aufkommen wolle, was vermutlich daran liege, dass sich die 15 Bewohnerinnen und Bewohner einer Etage jeweils in der ‹Stube› zum Essen zusammenfinden und nicht mehr alle des ganzen Hauses gemeinsam im Speisesaal. Da gehe der Kontakt zu den anderen verloren. Um dem entgegenzuwirken, hat Peter Mattmüller jedoch einen ‹vertikalen Besuchsplan› erstellt. Diese Woche hat er bereits zwei seiner Bekanntschaften besucht.

Ein ruhiger Bau

Peter Mattmüller spaziert jeden Tag an der Baustelle an der Worbstrasse vorbei und verfolgt aufmerksam die Arbeiten. «Kräne faszinieren mich. Sonst bin ich eher unpraktisch veranlagt und technisch nicht so interessiert, aber hier wird man mit der Zeit zum Baufachmann», sagt er lachend. Besonders beeindruckt ist er von der Logistik – dass der Beton dann da sei, wenn man ihn brauche. «Wie die die Fundamente gelegt haben und dann betonierten: subtil, mit grossem Aufwand, mit diesen Stellwänden», erzählt er begeistert. Einmal habe er den Bauleiter Heinrich Huber gefragt, ob er noch den Überblick über all die Leitungen habe, die da aus der Erde ragten. Worauf dieser antwortete: «Ja, dank unseren Plänen. In denen ist alles eingezeichnet». Dann erklärte Heinrich Huber dem interessierten Alenia-Bewohner noch, dass sie sich gerade in der entscheidenden Phase befänden, in der aus den zweidimensionalen Plänen ein dreidimensionales Gebäude entstehe und man sich endlich vorstellen könne, wie es einmal aussehen könnte.

«Es ist ein ruhiger Bau», fährt Peter Mattmüller fort. «Die Bauarbeiter schreien sich nicht an.» Ob ihn der Baulärm nicht störe? «Nein, überhaupt nicht. Sonst mache ich einfach das Fenster zu.» Die Baustelle sei ein ästhetisches Vergnügen, aber leider sehe er den Kranführer nie, wie er in seine Kabine hinaufklettere. «Das tut er immer dann, wenn ich nicht hinschaue», sagt er scherzhaft. «Aber das Schönste ist eindeutig, wenn sie Backstein auf Backstein legen und daraus langsam eine Mauer entsteht.» Ob er die Baustelle vermissen werde, wenn dereinst der Neubau fertig sei? Bestimmt, denn jetzt gäbe es immer etwas zum Schauen. Das jetzige Provisorium weise zwar schon einige Mängel auf, aber er versuche, immer das Gute zu sehen. «Jetzt kommt auch langsam Neugierde auf. Ich frage mich: Wie wird das Gebäude aussehen? Wie wird mein zukünftiges Zimmer aussehen? Und wie werde ich es einrichten?»

Cornelia Etter

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