Wie ein Besuch auf dem Wochenmarkt mein Leben veränderte

«Das Alter hat mich mit den schönsten Jahren meines Lebens beschenkt. So bin ich für vieles entschädigt worden. Darüber freue ich mich jeden Tag ‹usinnig›.»

Steckbrief

Name: Elsbeth Habegger
Alter: 93 Jahre
Aufgewachsen in: Bern
Beruf: Sekretärin
Im Alterszentrum Alenia seit: November 2016

Guten Tag, wie geht es Ihnen heute?
Danke, es geht mir gut. Ich bin vor knapp einem Jahr hier eingezogen, mit dem Gedanken, dass ich wieder in meine Wohnung zurückkehren werde. Ich merkte zwar bald, dass dies nicht mehr eintreffen wird; wollte mir dies aber nicht eingestehen. Nun gewöhne ich mich langsam ein.

Warum sind Sie im Alterszentrum Alenia?
Ich bin an einem Dienstagmorgen auf dem Wochenmarkt in Bern verunfallt. Nach dem Spitalaufenthalt folgte die übergangsweise Verlegung ins Siloah. Im Alenia war ich für eine Alterswohnung an der Bahnhofstrasse angemeldet. Ich benötigte nun aber Hilfe und Unterstützung. Deshalb bot mir Frau Gäumann ein Zimmer an der Worbstrasse an. 

Was vermissen Sie im Alenia?
Ich war nie verheiratet und habe keine Kinder. Mein ganzes Leben war ich mehr oder weniger unabhängig, konnte gehen wohin und mit wem ich wollte. Jetzt lebe ich in einer Gemeinschaft. Das ist eine neue Lebensform, die mich auch herausfordert. Ich muss noch lernen, mit den unterschiedlichen gesundheitlichen Einschränkungen der Bewohner umzugehen. Ich vermisse die Poststelle und eine Einkaufsmöglichkeit für kleine Alltagsgegenstände. 

Was gefällt Ihnen hier besonders, was weniger?
Es ist bequem hier. Ich muss zum Beispiel nicht mehr einkaufen und kochen. Das Umfeld gibt mir Sicherheit, und ich weiss heute, dass ich am richtigen Platz bin. Bei allen Aktivitäten, die mit Bewegung zu tun haben, mache ich gerne mit. Auch die Kartenwerkstatt und die Kochgruppe besuche ich.

Welche Gedanken machen Sie sich zum bevorstehenden Umzug in den Neubau Nussbaumallee 2?
Ich werde den Speisesaal vermissen. Nicht nur wegen der Möglichkeit, Gäste einzuladen. Es bringt Abwechslung in den Alltag. Man verlässt das Zimmer und das Stockwerk und trifft auf andere Bewohner. Mit den Tischnachbarn entstehen nette Gespräche und wir können auch zusammen lachen. Im Neubau bleibt man auch zum Essen auf der Wohngruppe und diese Unterbrechung des Alltags fehlt.

Viele Gedanken mache ich mir auch über die Zimmerzuteilung. Natürlich ist mir meine Privatsphäre wichtig und ich wäre wirklich glücklich über ein Zimmer für mich alleine. Oft kann ich nicht einschlafen und lese noch lange. Müsste ich das Zimmer teilen, wäre das eine Zumutung für meine Mitbewohnerin.

Wie wurden Sie über den Umzug informiert?
Am Stammtisch hat uns Peter Bieri über den Umzug informiert und uns entsprechende Unterlagen mit Grundrissplänen der Zimmer und den wichtigsten Informationen gegeben. Wir wurden rechtzeitig und gut informiert. Aber natürlich bleiben Fragen offen. Wir werden nach dem Umzug sehen, wie es wirklich ist.

Was würden Sie in Ihrem Leben anders machen, was nie mehr?
Geboren bin ich in der Länggasse; später zogen wir in die Elfenau. Ich habe eine jüngere Schwester. Wir wuchsen wohlbehütet auf. Nach der Schule besuchte ich die Töchterhandelsschule und verbrachte ein Jahr in Neuenburg, um mein Französisch zu verbessern. Zurück in Bern verliebte ich mich unglücklich.

Um Abstand zu gewinnen, reiste ich zu meiner Tante und ihrer Familie nach Bogotà in Kolumbien. Die Natur war wunderschön und in der Familie war ich gut aufgehoben. Ich unterstützte meine Tante mit den Kindern. Als Nachzügler hatte sie Zwillinge bekommen. Das Klima machte mir zu schaffen, und die grossen Klassenunterschiede in der Gesellschaft schockierten mich. In der Schweiz hielten die Menschen in den Kriegsjahren zusammen und die gesellschaftlichen Unterschiede waren in den Hintergrund gerückt.

Nach einem Jahr kehrte ich in mein Elternhaus zurück und fand eine Anstellung beim Auslandschweizerwerk, der Neuen Helvetischen Gesellschaft. Bald zog es mich wieder in die Ferne. Zusammen mit meiner Schwester absolvierte ich ein Auslandsjahr auf Guernsey, einer der Kanalinseln. Wir waren als Au-pair in verschiedenen Familien untergebracht, besuchten an den Nachmittagen die Schule und verbrachten die Freizeit miteinander.

Nach unserer Rückkehr in die Schweiz arbeitete ich wieder im Büro. Zwei Jahre später begann ich als Sekretä- rin beim EDA. Für meinen ersten Auslandsaufenthalt wurde ich in die Gesandtschaft nach Budapest versetzt. Ich erlebte, welche Auswirkungen der «Eiserne Vorhang» für die Menschen und ihr Leben wirklich hatte. Nach zwei Jahren kehrte ich nach Bern zurück. Dann arbeitete ich noch einmal im Ausland, für fast fünf Jahre in der Botschaft in Paris.

Ich war wieder in Bern als mein Vater starb. Danach wollte ich nicht mehr ins Ausland und war zuletzt als Sachbearbeiterin in der Sektion Stipendien und Kurse der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit in Bern tätig. Zusammen mit meiner Mutter lebte ich weiter in meinem Elternhaus. Nach ihrem Tod bezog ich mit 50 Jahren meine erste eigene Wohnung.

Welche Lebenswünsche sind in Erfüllung gegangen, welche nicht?
Viele Kunstreisen in Europa bereicherten mein Leben. Die weiteste Reise führte mich zusammen mit meiner Freundin für zehn Wochen nach Australien. Wir stellten uns ein für pensionierte Damen passendes Programm zusammen. Wenn ich zurückblicke, denke ich, ich hätte mehr von allem machen sollen. Mehr Reisen und mehr Wanderungen unternehmen und öfter einfach ins Auto steigen und losfahren.

Was möchten Sie unbedingt noch erleben?
Es wäre schön, wenn ich noch einmal die Fondation Beyeler in Riehen oder andere Kunstausstellungen besuchen könnte.

Monika Di Girolamo

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