Segelschiffe gehörten immer zu meinem Leben

«Ich musste bereits früh lernen, mit Schicksalsschlägen umzugehen. Von meinem Traum, mein eigenes Boot zu bauen, liess ich mich aber nie abbringen.»

Steckbrief

Name: Frank Genge
Alter: 91 Jahre
Aufgewachsen in: Ostermundigen
Beruf: Sekundarlehrer Phil. II
Im Alterszentrum Alenia seit: November 2017

Was vermissen Sie im Alenia?
Am meisten vermisse ich meine «Bastelbude». Ich war zu Hause topeingerichtet mit einer grossen Drehbank und 17 verschiedenen kleinen, elektrischen Maschinen (Stichsäge, Hobel usw.). Ich baute Modellschiffe mit Fernsteuerung. Auch Reparaturen, die in einem Haus mit Garten immer wieder anfallen, konnte ich grösstenteils selbst ausführen. Ich freue mich deshalb sehr auf das «Männerwerken», ein neues Angebot der Aktivierung. Ich vermisse die Poststelle und eine Einkaufsmöglichkeit für kleine Alltagsgegenstände. 

Was gefällt Ihnen hier besonders, was weniger?
Ich fühle mich gut betreut und habe ein besonders schönes Zimmer. Auf einen Fernseher kann ich gut verzichten; ich schaue aus meinem Fenster und habe meine «Liveschaltung» ins Leben.

Was würden Sie in Ihrem Leben anders machen, was nie mehr?
Ich hatte einen Wunschtraum: Schiffsbauingenieur zu werden. In meinem jugendlichen Übermut träumte ich von dieser Ausbildung. In meiner Familie und meinem Umfeld gab es jedoch eine Vielzahl von Lehrern. Das war letzten Endes für meine Entwicklung prägend, und so durchlief auch ich die Lehrerausbildung.

Womit kann man Ihnen Freude bereiten?
Mit einer Holzwerkstatt, in der ich mein Hobby ausüben und meiner Leidenschaft frönen könnte.

Welche Lebensträume sind in Erfüllung gegangen, welche nicht?
Bereits früh musste ich lernen, mit Schicksalsschlägen umzugehen. Als ich neun Jahre alt war, verunfallte unser Vater tödlich auf einer Skitour. Er war mit Freunden unterwegs, als sich eine Lawine löste. Er hatte auf einem Ohr ein eingeschränktes Hörvermögen. Deshalb konnte er die warnenden Rufe seiner Begleiter nicht hören und wurde als Einziger dieser Gruppe unter den Schneemassen begraben. Sofort fingen seine Freunde mit der Suche an. Leider konnte er nicht geborgen werden.

Meine Mutter, auch sie war Lehrerin, setzte alles daran, dass es mir und meinen vier Geschwistern trotz diesem Schicksalsschlag gut ging. Ich absolvierte die Primarschule in Ostermundigen und danach die Sekundarschule in Bolligen.

1942 trat ich als 15-Jähriger in die Rheinschifferschule ein. Die Schweizerische Reederei AG rekrutierte Besatzungen für ihre Rheinschiffe. Es herrschte Krieg in Europa. Deshalb erhielten wir nur eine «Kurzbleiche» der Ausbildung und liefen mit dem Schiff bald aus. Auf dem Rhein ging es bis nach Duisburg. Zu dieser Zeit standen nicht genug Eisenbahnwagen zur Verfügung, und das Schiff diente als Transportschiff für Cellulose. Ich diente ungefähr sechs Monate als Schiffsjunge. In Deutschland gab es jede Nacht zwei Fliegeralarme und Bombardemente. Mit gepackten Koffern und in voller Kleidung lagen wir jeweils in unseren Kojen und warteten. Sobald die Sirenen ertönten, mussten wir uns sofort an Land in die Schutzbunker begeben. Diese Zeit prägte mich. Ich war aus der sicheren Schweiz mitten ins Kriegsgeschehen geraten.

Bei unserer Rückkehr nach Basel stand für mich fest, dass ich diese Lehre abbrechen und nach Hause zurückkehren wollte. Im Herbst 1942 absolvierte ich die Aufnahmeprüfung im Gymnasium Kirchenfeld, und meine Lehrerausbildung nahm ihren Anfang.

Meine Leidenschaft gehörte schon immer den Schiffen. Mit 22 Jahren begann ich mit dem Bau meines ersten Segelschiffs in der Werkstatt meines Elternhauses. Fünf Meter lang, 1,6 Meter breit – eine Jolle. Den Bauplan hatte ich in Amerika bezogen, Zubehör wie Beschläge wurden mitgeliefert. Das Holz erhielt ich von unserem Nachbarn, der eine Schreinerei besass. Der Plan war, Regatta zu segeln. Nach zwei Jahren war es geschafft, und das Schiff konnte per Transporter und Bahn nach Murten verschoben werden. Ich taufte es auf den Namen «Va-Banque».

Inzwischen war ich Mitglied im Segelclub Murten und engagierte mich dort als Juniorenleiter. Später kaufte mir der Segelclub mein Schiff ab, und mit einem finanziellen Zustupf liess ich mir in der Werft von Faoug mein zweites Schiff bauen, die «Corail». Die «Corail» verfügte über eine Kajüte, einen Spritkocher und eine mobile Toilette. 1975 folgte die «Folie Chérie», ein Trimaran, den ich in England besichtigt und gekauft hatte.

Inzwischen belegten wir einen Dauerplatz in Portalban am Neuenburgersee. Es sollte nicht unser letztes Schiff bleiben. Die «Liselund» machte 1990 den Abschluss. Dieses Segelschiff hatten meine Frau und ich in Dänemark gekauft und segelten damit bis 2008 vorwiegend auf dem Neuenburgersee. Nachdem wir das Segeln aus Altersgründen hatten aufgeben müssen, unternahmen meine Frau und ich noch viele interessante Flussfahrten durch Europa.

Was möchten Sie unbedingt noch erleben?
Ich nehme das Leben, wie es kommt, und bin wunschlos. Ich habe gelernt loszulassen und hadere nicht. Meine erste Frau starb, als meine Kinder, zwei Töchter und ein Sohn, in jugendlichem Alter waren. Meine Schwester kam bei den Luftangriffen auf Schaffhausen ums Leben. Loslassen gehört zum Leben dazu.

Monika Di Girolamo