«Menschen mit Demenz haben feine Fühler.»

Renzo Danelon ist im Alterszentrum Alenia Leiter einer Wohngruppe für Menschen mit Demenz. Bereits nach der Schulzeit war für ihn klar, dass er mit älteren Menschen arbeiten wollte. Dazu trug auch das innige Verhältnis zu seinen Grosseltern bei. Ein Bericht über Sinnhaftigkeit, Teamwork und Freiwilligenarbeit.

Helene Gautschi, freiwillige Mitarbeiterin (Mitte), beim Basteln mit Mitgliedern aus Renzo Danelons Wohngruppe.

«Ich hatte schon als Bub eine sehr schöne Beziehung zu meinen Grosseltern», erzählt Renzo Danelon (Jg. 1960) zu Beginn des Gesprächs. Er ist seit September 2017 im Alenia Leiter einer Wohngruppe für Menschen mit Demenz. Bereits nach der Schule stand für ihn fest, dass er mit älteren Menschen zusammenarbeiten will. Als aktiver Fussballer kam er wegen eines Bänderrisses ins Inselspital Bern und damit zum ersten Mal in Kontakt mit dem Pflegeberuf. «In diesem Moment wusste ich, dass ich mit Menschen arbeiten will. Man kann viel von älteren Menschen profitieren – von ihren faszinierenden Erfahrungen und Lebensgeschichten», sagt er. Der empathische Wohngruppenleiter möchte ihnen etwas zurückgeben für all das, was sie geleistet haben und ihnen einen schönen Lebensabend bieten. Vor allem aber will er für sie da sein. «Die schönsten Erlebnisse sind für mich, wenn ein Lächeln der Bewohnerinnen und Bewohner zurückkommt. Wenn ich ihre Dankbarkeit spüre, gibt mir das ein Gefühl von Genugtuung und Zufriedenheit.» Seine Motivation und Haltung im Umgang mit Menschen mit Demenz gibt er an sein Team weiter. Vor allem in Zeiten des Coronavirus will er ihnen ein Vorbild sein. Er versucht ihnen vorzuleben, das Beste aus der Situation zu machen, auch wenn es manchmal schwierig ist. «Führen heisst für mich Sinn stiften. Das bedeutet, ich will meine Mitarbeitenden mitnehmen, sie einbeziehen und den Sinn ihres Beitrages, den sie hier auf der Wohngruppe leisten, erfahrbar machen. Ich lobe sie und gebe ihnen Feedback, schenke ihnen Wertschätzung und Anerkennung, aber vor allem auch Vertrauen. Ich versuche, nicht alles zu kontrollieren, damit sie selbst etwas bewirken und Verantwortung übernehmen können. Ich bin stolz auf mein Team und arbeite sehr gerne mit ihnen. Zusammen haben wir schon manche Krise gemeistert. Wir arbeiten Hand in Hand, können uns aufeinander verlassen und sind füreinander da.» 

«Menschen mit Demenz können immer wieder eine Beziehung
zu anderen aufnehmen. Sie reagieren auf die Umwelt
und sind für kurze oder längere Zeit offen für das Gegenüber.» 

Helene Gautschi, freiwillige Mitarbeiterin


Renzo Danelon, Leiter Wohngruppe Demenz, kommt durch
alltägliche Aktivitäten mit Bewohnerinnen ins Gespräch. 

Tolles Miteinander im Team

Auch die wertvolle Zusammenarbeit mit Freiwilligen schätzt Renzo Danelon sehr. Warum? «Sie verschafft uns Luft im Team. Wir können uns dann um die Administration kümmern und ‹Ämtli› erledigen. Zudem beschäftigt sich einmal jemand anders mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. Das ist auch für sie eine willkommene Abwechslung und eine Bereicherung.» Helene Gautschi spürt, dass sie geschätzt wird. Seit 2010 ist sie freiwillige Mitarbeiterin im Alterszentrum Alenia und unternimmt jeden Montagnachmittag etwas mit denjenigen Bewohnerinnen und Bewohnern, die Lust dazu haben. Sie singt mit ihnen, erzählt Geschichten und bastelt beispielsweise saisongerechte Dekorationen für die Zimmertüren. «Bei schönem Wetter gehen wir nach draussen. Wir sitzen im Garten oder gehen spazieren. Menschen mit Demenz können immer wieder eine Beziehung zu anderen aufnehmen. Sie reagieren auf die Umwelt und sind für kurze oder längere Zeit offen für das Gegenüber. Ich freue mich jeweils sehr, wenn sie lächeln, weil etwas beim Spielen gelingt, wenn sie sich über die gebastelte Deko freuen oder wenn sie beim Singen plötzlich den Takt klopfen. Auch über ihre Offenheit für die Blumen am Wegrand, Züge und Flugzeuge, die wir sehen, oder über etwas Persönliches, das sie von sich aus mit mir teilen.» Es gebe überhaupt viel Berührendes im Umgang mit Menschen mit Demenz, erzählt Helene Gautschi. «Zum Beispiel habe ich zum Jahresbeginn Neujahrs-wünsche und einen Segen vorgelesen. Dann habe ich die Gruppenmitglieder gefragt, was sie sich fürs neue Jahr wünschen. Sie antworteten: ‹Es ist gut, wie es ist. Es soll sich nichts ändern. Oder: Es soll so gut bleiben, wie es ist.› Ich war gleichzeitig überrascht und berührt. Diese Menschen leben mit so vielen Einschränkungen, aber sind doch grösstenteils zufrieden. Das freut mich sehr, auch für das Pflegeteam. Denn es sorgt für die gute Atmosphäre. Ich komme nur am Montag, und sie machen das jeden Tag. Ich weiss nicht, ob ich das könnte!» Warum leistet sie Freiwilligenarbeit? «Ich hatte Eltern, die über 90 Jahre alt werden durften. Deshalb war das Alter für mich schon in jungen Jahren ein Thema. Als das Pflegeheim, damals noch Nussbaumallee, einen Kurs zum Begleiten von Schwerkranken und Sterbenden angeboten hatte, besuchte ich diesen und habe dann mit der Freiwilligenarbeit im Alenia begonnen.» Die Haltung der Verantwortlichen und die Atmosphäre hätten sie schon damals angesprochen. Das sei heute noch so, sonst hätte sie nicht so lange durchgehalten. «Ich habe im Alenia wirklich das Gefühl, dass hier die Menschen im Zentrum stehen – die Bewohner und die Mitarbeitenden.» Zudem teilt sie die wohlwollende Grundhaltung von Renzo Danelon Menschen mit Demenz gegenüber. Es sei ein tolles Miteinander im Team. 

«Wir müssen den Alltag im Geist von
Menschen mit Demenz wecken.
Dort können sie oftmals anknüpfen.»

Renzo Danelon, Leiter Wohngruppe Demenz

Kein Tag wie der andere

In Renzo Danelons Augen macht die Welt, in der Menschen mit Demenz leben, durchaus Sinn, man müsse sich nur in diese Menschen hineinversetzen und sie dort abholen, wo sie sind. Oft könnten sie die Gegenwart nicht mehr von der Vergangenheit unterscheiden, deshalb sei der Zugang über Alltagsaktivitäten ein wichtiger Brückenschlag. «Man muss den Alltag in ihrem Geist wecken», erklärt er. «Dort können sie oftmals anknüpfen. Viele erinnern sich beim Tischdecken, Rüsten, Kochen oder Wäscheeinräumen an früher, und manchmal kommen dadurch schöne Gespräche in Gang.» Auch die aktuelle Zeitung vorzulesen und vom Alltag zu berichten, etwa aus der Politik, von der AHV, einem Umbau oder von Sportveranstaltungen, würde die Bewohner zufriedener machen und eine Weile von allfälliger Eintönigkeit ablenken. «Man muss Menschen mit Demenz sinnvolle Angebote präsentieren, sie mitnehmen und beschäftigen. Es gibt nichts Schlimmeres für sie, als nichts zu tun. Alles, was sie hingegen ermutigt und inspiriert, ist gut für sie und die Gemeinschaft. Zudem hat eine ganzheitliche Alltagsgestaltung positive Auswirkungen auf ihre Gesundheit», erklärt er weiter. «Menschen mit Demenz haben feine Fühler. Sie merken sofort, wenn etwas nicht stimmt, und umgekehrt auch, wenn man ihnen Wertschätzung und Respekt entgegenbringt.» Kein Tag auf der Wohngruppe sei wie der andere. «Mein Team muss sehr flexibel sein. Die Tage sind wenig vorhersehbar, und wir müssen stets situationsbedingt handeln. Die einzigen Fixpunkte sind die gemeinsamen Mahlzeiten.» Am Alterszentrum Alenia schätzt er die menschliche Führung, die Freundlichkeit unter den Mitarbeitenden und das wohlwollende Klima. Zudem erhalte man bereichsübergreifend Hilfe, wenn man sie anfordere. Man sei füreinander da. Und wie schaltet er abends ab? «Das ist einfach: Kaum komme ich zu Hause zur Tür rein, begrüssen mich meine Frau und unsere vier Katzen. Die nehmen sofort den ganzen Spielraum ein.»

Cornelia Etter