Dank Koordination und Integration zu einer langfristig besseren Versorgung

Integrierte Versorgungsmodelle sind in der Pflege und Betreuung von älteren und entlastungsbedürftigen Menschen schweizweit auf dem Vormarsch. Über die Vorteile des zukunftsweisenden Wegs, den auch das Alenia und die Spitex Muri-Gümligen ab dem 1. Januar 2022 gehen werden, sprechen wir mit dem Experten Oliver Strehle.

Interview mit Oliver Strehle, Geschäftsführer Schweizer Forum für Integrierte Versorgung, fmc

Herr Strehle, Sie sind Geschäftsführer des Schweizer Forums für Integrierte Versorgung (fmc). Was ist mit integrierter Versorgung genau gemeint? 

Im Allgemeinen versteht man darunter eine sektoren-, institutions- und berufsübergreifende Betreuung und Versorgung von Patienten und älteren Menschen entlang des gesamten Behandlungspfads. Die Ausprägung unterscheidet sich regional, je nachdem, welche Bedürfnisse vorherrschen. Eine allgemeingültige und abschliessende Definition der integrierten Versorgung existiert nicht. 

In einem Krankheitsfall regelt das Modell die Zuständigkeiten: Sucht ein Patient mit Beschwerden den Hausarzt auf, macht dieser die ersten Abklärungen. Je nach Krankheitsbild verweist er ihn weiter an einen Spezialisten. Dieser wiederum veranlasst eine Operation in einem Spital. Bei der Entlassung des Patienten stimmt sich das Spital direkt mit der Spitex ab, wenn der Patient weiter auf Unterstützung zu Hause angewiesen ist. Die Spitex stellt den Betreuungsbedarf beim Patienten zu Hause fest und koordiniert die Nachbehandlung mit dem Hausarzt. An diesem Kreislauf wird ersichtlich, dass mehrere Leistungserbringer aus dem ambulanten und stationären Sektor, aus verschiedenen Unternehmen und mit unterschiedlichen Berufen eng zusammenarbeiten, damit der Patient die beste Behandlung erhält.

Charakteristisch für die integrierte Versorgung ist, dass die involvierten Leistungserbringer ihre Kompetenzbereiche gemeinsam definieren und Informationen innerhalb von sogenannten interprofessionellen Behandlungspfaden austauschen. Dabei werden die Patienten, zum Beispiel ältere Menschen, stärker eingebunden, sie sind ein aktiver Teil der Betreuung und Behandlung. Ziel ist es, nicht nur nach kurzfristigen und symptombezogenen, sondern langfristigen Lösungen zu suchen.

Eine Verbundlösung, wie sie das Alenia und die Spitex Muri-Gümligen per 1. Januar 2022 beschlossen haben, ist ein wunderbares Beispiel für die integrierte Versorgung. Der Zusammenschluss zeigt das Bestreben, die Zusammenarbeit in der Langzeitpflege zu fördern und die Betreuung und Versorgung der älteren Bevölkerung in der Gemeinde Muri bei Bern zu verbessern.

Sowohl die Gesundheitsforschung als auch die Politik sprechen sich klar für Verbundlösungen aus. Seit den 1990er-Jahren wurden integrierte Versorgungsinitiativen in vielen Gemeinden der Schweiz eingeführt. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Bereits in den 1990er-Jahren sah man sich mit steigenden Gesundheitskosten, dem demografischen Wandel hin zu mehr älteren Menschen bei niedriger Geburtenrate und der Zunahme von chronischen Erkrankungen konfrontiert. In der Politik hat sich in diesen Jahren zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass die integrierte Versorgung hierfür Lösungen anbietet, indem unter anderem Doppelspurigkeiten vermieden und dadurch Kosten eingespart werden können. 

Auch die vor rund 30 Jahren entstandenen neuen Ärztenetzwerke und Versicherungsmodelle wie das Hausarzt- und HMO-Modell führten dazu, dass sich Verbundlösungen rasch verbreitet haben. 

Zu guter Letzt ist auch die Bereitschaft der Leistungserbringer selbst, die in Verbünden arbeiten möchten, gestiegen. Noch 2008 waren gemäss FMH Ärztestatistik 63 Prozent der ambulant tätigen Ärzte in einer Einzelpraxis tätig, 2019 waren es nur noch 50 Prozent. Diese Entwicklung ist Ausdruck dieser neuen kooperativen Arbeitsauffassung. Leistungen werden zum Wohle des Patienten miteinander und nicht nacheinander erbracht. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich dieser Trend weiter fortsetzen wird.   

An einem Beispiel: Welches Potenzial bieten die integrierten Versorgungsmodelle?

Nehmen wir das Chronic Care Management: Vielen Patienten mit einer chronischen Erkrankung steht mittlerweile ein interprofessionelles Versorgungsteam zur Verfügung, das die individuellen Bedürfnisse der Patienten gemeinsam abdeckt. Durch klare Absprachen darüber, wer, was, wann zu tun hat, werden die Patienten besser versorgt und mittel- bis langfristig Komplikationen reduziert. Dies belegen immer mehr Studien zu den verschiedenen IV-Modellen. Dank der zunehmenden Digitalisierung der Versorgungsprozesse wird sich das Potenzial der integrierten Versorgung noch erhöhen. Die Digitalisierung erlaubt es, Leistungen transparent abzubilden, Behandlungserfolge messbar zu belegen und dadurch Therapien laufend zu optimieren. Dabei werden chronisch kranke Patienten und zunehmend auch deren Angehörige miteinbezogen. Wir wissen heute, dass die Lebensumstände und das eigene Verhalten den Krankheitsverlauf entscheidend beeinflussen können. 

Die integrierte Versorgung ist aber auch eine Herausforderung für unser heutiges System. Sie bedingt eine Offenheit, hohe Kooperationsbereitschaft und den Willen, Prozesse zu optimieren und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Und will man die integrierte Versorgung wirklich fördern, müssen die Finanzierungssysteme die Behandlungskoordination besser vergüten als heute. Aktuell sind diese noch zu stark auf die symptombezogene Akutversorgung ausgerichtet. 

Der fmc fördert den Austausch von Wissen, Erkenntnissen und Erfahrungswerten zur integrierten Versorgung. Inwiefern?

Der fmc versteht sich als unabhängige Denkfabrik zur Förderung einer patientenorientierten integrierten Versorgung. Wir wollen die Vernetzung aller Beteiligten vorantreiben, mit ihnen die zukünftigen Versorgungsmodelle vordenken und Impulse zu deren Weiterentwicklung geben. Hierfür führen wir regelmässig verschiedene Veranstaltungen, zum Beispiel das jährliche fmc-Symposium, durch und veröffentlichen fortlaufend verschiedene Publikationen, etwa den «fmc-Denkstoff». 

Mehr zu den vielfältigen Aktivitäten des Schweizer Forums für Integrierte Versorgung erfahren Sie unter: www.fmc.ch

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