Glück im Unglück mit einem kragenlosen Hemd

Es begann mit einem Missgeschick, steigerte sich zur verpassten ­­ Verabredung und ebnete schlussendlich den Weg ins gemeinsame Leben – eine Geschichte über einen fehlenden Hemdkragen.

Steckbrief

Name: Willy Meyer
Aufgewachsen in: Gümligen
Alter: 80 Jahre
Beruf: Gärtner
Im Alterszentrum Alenia seit: Mai 2016

Guten Tag Herr Meyer, wie geht es Ihnen heute?
Es geht so, ich fühle mich nicht schlecht. Vor den Wintermonaten und den langen Nächten graut mir ein bisschen, da ich oft nicht gut schlafe.

Warum sind Sie gerade im Alterszentrum Alenia?
Ich war für fünf Wochen im Siloah und meine Frau alleine zu Hause. Obwohl unser Leben vorher im eigenen Haushalt im Alltag funktioniert hatte, konnte sie nicht so lange alleine bleiben. Bald wurde im Alenia ein Zimmer frei, und sie zog ein. Nach meinem Spitalaufenthalt gab es auch für mich einen Platz. Trotz der Unterbringung in verschiedenen Häusern sehen wir uns regelmässig. Dafür sind wir dankbar. Der Umzug und die Aufgabe des gemeinsamen Haushaltes gingen sehr schnell, das macht mir manchmal noch Mühe.

Was vermissen Sie im Alterszentrum Alenia?
Auch wenn ich mich im Alenia wohlfühle, vermisse ich die Freiheit, meinen Alltag selbst zu gestalten. Berufsbedingt führte ich ein selbstbestimmtes Leben.

Was gefällt Ihnen hier besonders, und was weniger?
Ich schätze das Essen, habe ein schönes, warmes Zimmer und fühle mich grundsätzlich wohl.

Was würden Sie in Ihrem Leben anders machen, was nie mehr?
Ich bin sehr gesprächig und finde dieses Leben herrlich. Auch durch die wunderbare Betreuung fühle ich mich sehr gut aufgehoben.

Was würden Sie in Ihrem Leben anders machen, was nie mehr?
Obwohl mein Vater der Gründer der Gärtnerei Meyer war, haben meine Eltern mich nie in diesen Beruf gedrängt. Ich wollte aber unbedingt auch Gärtner werden. Nach einem Aufenthalt im Welschland absolvierte ich meine Ausbildung in einem Betrieb in Langnau. Danach fand ich eine Anstellung in Burgdorf. 1955 zog es mich für ein Jahr nach Schweden. Der Bruder eines Arbeitskollegen hatte uns zwei Arbeitsplätze in einer riesigen Produktionsgärtnerei beschafft. Für die Einreise mussten wir uns als Studenten ausgeben, sonst hätten wir keine Bewilligung erhalten.

Was ist Ihre liebste kulturelle Beschäftigung?
Ich besuche Anlässe hauptsächlich gemeinsam mit meiner Frau und um ihr eine Freude zu machen. Ich bin nicht der Fan volkstümlicher oder klassischer Musik, sondern ein Schlagerliebhaber.

Womit kann man Ihnen eine Freude bereiten?
Ich freue mich immer sehr auf die gemeinsamen Spaziergänge mit meiner Frau. Wir geniessen unsere Privatsphäre und die Zweisamkeit.

Welche Lebenswünsche sind in Erfüllung gegangen, welche nicht?
Bereits während meiner Lehrzeit in Langnau lernte ich meine künftige Frau kennen. Wir kamen noch nicht zusammen; verloren uns aber auch nie mehr ganz aus den Augen. Meine Eltern waren in dieser Hinsicht sehr streng und wir beide natürlich noch sehr jung. Kurz nach meiner Rückkehr aus Schweden wurden wir definitiv ein Paar, und schon bald kündigte sich Nachwuchs an. Wir mieteten eine Wohnung in Gümligen, und ich stieg bei meinem Vater im Geschäft ein. 1972 übernahm ich den Betrieb ganz. Sukzessive erweiterten wir die Gärtnerei und verlegten den Standort vom Dorf in den Tannacker.

1958 ergab sich die Gelegenheit, im neu erstellten Dorfzentrum in Gümligen ein Ladenlokal zu mieten. Für meine Frau ging ein Traum in Erfüllung, als sie dort ihr eigenes Blumengeschäft eröffnen konnte. Inzwischen waren wir ja auch Eltern geworden und hatten so alle Hände voll zu tun. Bereits als Junge hatte ich leidenschaftlich Eishockey und Fussball gespielt. Der Sport liess sich mit dem Geschäft aber irgendwann nicht mehr vereinbaren, und ich gab beides auf. Wir haben in unserem Leben viel Glück erfahren; mit den Kindern, die wir uns immer gewünscht hatten, und auch mit dem Geschäft.

Was möchten Sie unbedingt noch erleben?
Ich hätte immer gerne unser Geschäft fertig gebaut. Es wäre noch Platz für zwei weitere Treibhäuser und ein zusätzliches Gebäude. Meine Frau und ich träumten lange Zeit von einer dreiwöchigen Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn, von Zürich über Wien ans Schwarze Meer. Dafür haben wir über eine lange Zeit unser Kleingeld gespart.

Können Sie uns noch eine Anekdote aus Ihrem Leben erzählen?
Ich arbeitete noch in Langnau und hatte eine Verabredung mit meiner zukünftigen Frau in Bern. Es war Winter, und in meinem Zimmer war es eisig kalt. Es kam vor, dass meine Sachen in meinem kleinen Schrank, der an der Aussenwand befestigt war, sogar anfroren. So auch an diesem Tag; ich war in Eile, musste mich noch umziehen und den Zug unbedingt erreichen. So riss ich das oberste Hemd vom Stapel und der Kragen blieb angefroren an der Rückwand kleben. Es war keine Zeit mehr, ein anderes Hemd zu suchen. Verzweifelt kaschierte ich das Malheur mit einem Schal und rannte zum Bahnhof. Ausgerechnet an dem Tag verspätete sich die Bahn um ein paar Minuten.

Und wie ich es befürchtet hatte: Meine zukünftige Frau, die sehr grossen Wert auf Pünktlichkeit legte, war am vereinbarten Treffpunkt nicht mehr vorzufinden. Bedrückt fuhr ich mit dem nächsten Zug wieder zurück nach Langnau. Dass ich unsere Verabredung verpasst hatte, wollte ich nicht einfach auf mir sitzen lassen, und ich wollte sie unbedingt über mein Missgeschick aufklären. So lief ich zu ihr nach Hause. Mir war ein bisschen mulmig zumute, denn ich hatte sie dort noch nie besucht. Sie liess mich rein und ich konnte ihr alles erzählen. Was soll ich sagen – ich hatte Glück im Unglück; sie hat mir verziehen. Nicht nur das: Wir nutzten die Gunst der Stunde, und sie stellte mich gleich ihren Eltern vor.

Monika Di Girolamo

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