«Freundschaften bereichern mein Leben»

Seit März 2012 besucht Annemarie Wyss regel­mässig den Tagestreff und wird durch die Spitex Muri-Gümligen unterstützt. Durch den Zusammenschluss des Alenia mit der Spitex Muri-Gümligen erhält sie ihre Dienstleistungen aus einer Hand. Für ihre Zukunft kann sie sich einen Umzug an die Bahnhofstrasse 43 vorstellen.

Steckbrief

Name
Alter
Aufgewachsen in
Beruf 

Annemarie Wyss
76
Bern
Telegrafistin, Handelsschuldiplom

Seit zehn Jahren besuchen Sie den Tages­treff. Warum haben Sie sich damals für dieses Angebot im Alenia entschieden?

Ich befand mich in einer schwierigen Lebenssituation. Meine Beiständin riet mir zu einem Schnuppertag im Tagestreff, der damals noch in das Altersheim Muri-Gümligen integriert war. Ich war zwar skeptisch, willigte aber ein. Bei meinem Besuch wurde ich positiv überrascht. Ich merkte schnell, dass mir dieses Angebot genau die für mich so wichtige Tagesstruktur bieten konnte. Zusätzlich profitiere ich seit vielen Jahren vom Mittagstisch. Durch die regelmässigen Besuche konnte ich mir ein soziales Netz aufbauen, das viel zur Verbesserung meiner Lebensumstände beigetragen hat. Mein Zehn-Jahr-Jubiläum im Tagestreff haben wir am 1. März dieses Jahres mit dem Team und den Gästen gefeiert.

Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken: Was waren Ereignisse, die Sie geprägt haben?

Ich wuchs im Egghölzli als Einzelkind auf. Mein Vater war Drogist, meine Mutter Verkäuferin. Als ich 13 Jahre alt war, ereilte mich ein erster schwerer Schicksalsschlag: Mein Vater verunglückte auf dem Heimweg von der Arbeit tödlich. Es folgte eine schwere Zeit. Umso mehr als bei meiner Mutter kurze Zeit nach dem Verlust unseres Vaters akute Leukämie diagnostiziert wurde. Ich war noch in meinem Welschlandjahr, als ich die Nachricht erhielt, dass es für meine Mutter keine Hoffnung mehr gab. Mit 16 Jahren wurde ich zur Vollwaise. Ich hatte zwar Tanten und Onkel, diese lebten aber in der Ostschweiz. Ich wollte nicht weg von Bern und lebte weiterhin in der elterlichen Wohnung. Da ich noch nicht volljährig war, wurde mir ein Vormund zugesprochen. Die Hausgemeinschaft gab mir Halt und unterstützte mich; die Nachbarskinder waren wie Geschwister für mich.

Als ich 17 oder 18 Jahre alt war, zog ich in meine erste eigene Wohnung an der Junkerngasse in der Berner Altstadt um. Nach den schwierigen Jahren in der Vergangenheit fand ich Freude an meinem neuen Zuhause. Der Weg vom Egg­hölzli in die Altstadt war nicht weit, so blieb auch der Kontakt zu meinen früheren Nachbarn bestehen. Seit 1984 wohne ich im Thoracker am Kranichweg.

Wann und wie haben Sie beruflich die Weichen gestellt?

Nach der obligatorischen Schulzeit erwarb ich im Institut du Sacré Cœur in Estavayer-le-Lac ein Sprachdiplom. Auch dort knüpfte ich schnell Kontakte, und der eine oder andere Streich ging auf das Konto unserer Mädchenclique. Zurück in Bern, schloss ich die Handels- und die Verkehrsschule ab und begann danach meine Lehre als Telegrafistin bei den PTT. Über die Nummer 110 wurden damals zu jeder Tages- und Nachtzeit telefonisch Telegramme aufgegeben.

Mein Amtsvormund, der mir nach dem Tod meiner Eltern zugesprochen worden war, erfüllte mir nach der Ausbildung den Wunsch nach einem Sprachaufenthalt im Ausland. Ich zog für vier Monate nach Bournemouth und wohnte bei einer verwitweten Frau und ihrem Cockerspaniel «Goldie». Ich bin sehr tierlieb. Dass «Goldie» jeweils mit uns am Tisch sass und auf einem Teller kleine Leckereien vorgesetzt bekam, störte mich nicht. In der Sprachschule schloss ich schnell neue Bekanntschaften, und als mir mein Portemonnaie gestohlen wurde, unterstützten mich die anderen Mädchen. So fuhren wir nach der Schule gemeinsam mit der Bahn nach London, um meinen Vormund telefonisch über den Verlust zu informieren.

Das Reisen scheint eine Passion zu sein.

Ja, so ist es. Ein weiterer Auslandsaufenthalt folgte, und dieser führte mich nach Italien, in mein «Traumland». Ein halbes Jahr verbrachte ich in Florenz und lebte bei einer Familie. Der Sohn meiner Gastfamilie war in meinem Alter und unternahm viel mit seinem Freund. Auch eine Freundin von mir war zum Sprachaufenthalt mitgereist. Wir verstanden uns alle gut und so entstand bald einmal unsere Vierertruppe. Zusammen erkundeten wir in unserer Freizeit im Fiat 500 die Toskana. Ich verbrachte eine wunderschöne, unbeschwerte Zeit. Italien hat mich nie losgelassen. Immer wieder verbrachte ich dort meine Ferien; reiste mit dem Badeexpress nach Riccione oder mit dem Car nach Alassio. Und immer habe ich neue Bekanntschaften geschlossen, die mir zum Teil über Jahre erhalten geblieben sind.

Wie ist es punkto Job weitergegangen?

Bis 1969 arbeitete ich als Telegrafistin. Zwischenzeitlich konnte ich im Büro der Generaldirektion der PTT aushelfen, da ich über den Handelsschulabschluss verfügte. Dies verhalf mir dann Jahre später zu einer festen Anstellung. Mit 29 Jahren trat ich für drei Jahre in den Frauenhilfsdienst (FHD) ein.

Kehren wir zurück in die Gegenwart: Was ist Ihre liebste kulturelle Beschäftigung?

Das Neujahrskonzert geniesse ich jeweils sehr, und über die musikalische Unterhaltung der Damen mit den Handorgeln freue ich mich immer.

Mit was kann man Ihnen sonst noch eine Freude bereiten?

Mit Ausflügen oder einem gemeinsamen Mittagessen. Im Tagestreff lese ich den anderen Gästen öfters berndeutsche Geschichten vor. Der Kater Kopernikus, der sein Unwesen in der Berner Altstadt treibt, hat es uns allen angetan. Da ich selbst eine Katzenliebhaberin bin, freue ich mich immer über die neuen Streiche des Katers. Meine drei Büsi Belinda, Jambo und Lumpi haben mich über viele Jahre meines Lebens begleitet. Mit dem Vorlesen kann ich meine Freude an den Samtpfoten weitergeben.

Was möchten Sie unbedingt noch erleben?

Eine Reise nach Alassio oder einfach nach Italien. In Alassio hatte ich mich mit einer Hoteliers-Familie angefreundet. Wenn ich in meinen Ferien dort ankam, wurde jedes Mal ein Festessen mit der ganzen Familie organisiert. Langjährige Freundschaften haben mein Leben bereichert. Noch heute halte ich Kontakt zu den ehemaligen Nachbarskindern und einer Jugendfreundin.

Interview: Monika Di Girolamo
×

Hello!

Click one of our contacts below to chat on WhatsApp

× Melde dich!