Auf drei Kaffee mit Peter Mattmüller

Peter Mattmüller wohnt seit Kurzem im Provisorium an der Nussbaumallee 2. Vorgängig hatte er in der Worbstrasse 296 noch Kisten mit Sachen gefüllt und den Kopf mit Erinnerungen. Und dann ging es los: Für ihn und für jeden anderen der 47 Umziehenden.

«Es kommt immer, wie es kommt – und dann doch anders als erwartet». Herr Mattmüller ist ein Gegenwartsmensch. Er erinnert sich zwar gerne an Vergangenes, aber nie wehmütig. Er blickt gerne in die Zukunft, aber malt sie sich nicht aus. Er lebt lieber im Hier und Jetzt. Und das ist seit über acht Jahren das Alterszentrum Alenia. Damals zog er zusammen mit seiner Frau in die Worbstrasse 296. Als sie nach vier Jahren auf die Pflegestation wechseln musste, besuchte er seine Frau zweimal am Tag.

Vor dem Ruhestand haben sie gemeinsam über vierzig Jahre ein Heim in Wabern geleitet. In Gümligen teilten sie vor allem kleine Freuden des Alltags. «Wir haben immer gerne Krimis geschaut», erzählt er. «Später sind wir dann auf Tierfilme umgestiegen. Ein schönes Ritual war das.» Nach ihrem Tod habe er dann kaum noch ferngesehen. «Alleine wollte ich nicht in die Kiste schauen», sagt er. Das habe aber nichts mit Traurigkeit zu tun. Vergangenes bleibe ja als Erinnerung erhalten, aber wichtiger sei doch, was gerade passiert.

Zuhause im Alterszentrum Alenia

Zu Alenia kam er nach einem Oberschenkelhalsbruch. Denn mit Rollator in Bern hat er schnell eingesehen: Das funktioniert nicht. Und auch wenn er es immer geliebt hat, am Casinoplatz zu verweilen, einfach um Passanten, Trams und das Geschehen zu beobachten: Warum an einem Leben festhalten, dass sich als schwierig zu bewerkstelligen entwickelt. Ein Alterszentrum mache es einem doch angenehm und insbesondere bei Alenia habe er immer das Engagement um Geborgenheit gespürt. Beim ersten Kaffee ist Herr Mattmüller daher zuversichtlich, dass die Nussbaumallee 2 schnell zu seinem nächsten Zuhause wird.

Es ist kurz vor Weihnachten. «Ich fühle keine grosse Vorfreude, aber ich bin sehr neugierig auf das, was kommt.» Mit seinem Sohn möchte er zwischen den Jahren den Grundriss des neuen Zimmers studieren, Möbel massstabsgetreu ausschneiden, sich mit dem Raum vertraut machen. Eine Idee, die Projektleiterin Franziska Glaus initiiert hat. Nicht zuletzt aus psychologischen Gründen: Jedem wird bald weniger Platz zur Verfügung stehen.

Peter Mattmüller weiss die gute Organisation des Umzugs sehr zu schätzen. Er fühlt sich abgeholt, ist optimistisch – weiss aber auch, dass er Glück hat: «Ich bin privilegiert», nennt er es. Tatsächlich zählt er zu den Bewohnern, die im neuen Haus ein Einzelzimmer beziehen und sich nicht ein Zimmer teilen müssen. «Dafür bin ich sehr dankbar», sagt er ernst. Seine Bedenken bezüglich des gemeinschaftlichen Badezimmers sind für ihn deshalb nebensächlich, wenn er sie mit manchen der neuen Zimmersituationen vergleicht. «Hätte ich ein Zimmer teilen sollen, weiss ich nicht, ob ich geblieben wäre», gibt er ehrlich zu. Am Zügeltag nimmt er deshalb seinen nebensächlichen, aber bewussten Abschied vom privaten Badezimmer. «Ab jetzt teile ich mir die Nasszelle mit zwei Damen», und man hört das Unbehagen in seiner Stimme. «Hoffentlich kommen wir uns nicht in die Quere.»

Es kommt – anders als erwartet

Am Zügeltag Anfang Januar und auf den zweiten Kaffee mit Herrn Mattmüller, ist die Stimmung gefasster. Alle Bewohner warten im Aufenthaltsraum auf den Transfer ins neue Haus. «Sie gaumen uns», beschreibt es Peter Mattmüller. Schützen träfe es auch: Denn während die Umzugshelfer Kartons und Möbel auf Gänge und in Aufzüge schieben, ist es hilfreich, steht niemand schlecht sichtbar im Gedränge. Mischt sich das eigene Hab und Gut augenscheinlich mit dem von 47 anderen Menschen, ist man aber nachsichtig mit Emotionen.

Um kurz nach 10 Uhr geht es dann los. Alle sind jetzt im Hier und Jetzt, teilweise gibt es Tränen, Peter Mattmüller stützt sich auf seine Gehhilfe. Still ist der Gang ins Haus gegenüber. Heiter wird die Situation nur durch die bunten Luftballons, die die Gemeinschaft begleiten. An jedem hängt ein handgeschriebener Zettel. Darauf notiert sind die Wünsche und Erwartungen an das neue Zuhause. Das Reglement für das Badezimmer ist davon ausgeschlossen. Die Wohngemeinschaft 93-104-93-jährig hat sich bereits im Vorfeld einigen können.

Der Umzug ist in vollem Gange: Das Hab und Gut der Bewohnerinnen und Bewohner wird an den jeweils vorgesehen Platz gebracht.

Den Geist erhalten

Peter Mattmüller wünscht sich, dass man es gemeinsam schafft, den Geist des alten Hauses in die noch sterilen Räume des neuen Gebäudes zu zügeln. «In der Worbstrasse 296 gab es eine gewachsene Aura. Wenn diese hier wieder aufleben könnte, dann käme auch das Gefühl von Angekommen zurück.» Peter Mattmüller ist humanistisch geprägt. Obwohl er die Gemeinschaft nicht zwingend braucht, weiss er um ihre Notwendigkeit für andere und ist gerne bereit, sie zu pflegen.

In seinem neuen Zimmer ist er angekommen. «Ich liebe es», ist seine spontane Rückmeldung. «Vor allem war alles gleich am richtigen Platz, ich musste mich um nichts kümmern, alles war wirklich minutiös und vorzüglich vorbereitet.» Er habe zwar weniger Quadratmeter, aber mehr Tageslichteinfall als vorher. Das schaffe ein sehr angenehmes Raumgefühl. Ausserdem sei alles sehr gut isoliert. «Das Essen gibt es jetzt etagenweise«, erklärt er. «Das macht es für mich schwieriger, Kontakte zu halten. Aber ich habe bereits einen kleinen Besuchsplan angelegt, um die vertikale Verbindungen zu wahren.» Er ist ihm sehr wichtig, der Geist von Alenia. Trotz seinem Einzelgänger-Gemüt. Vielleicht um der Badezimmergemeinschaft willen. Bestimmt aber insbesondere wegen der Kompromissbereitschaft anderer Bewohner. «Es gilt, gestalterisch Orte zu schaffen, wo Gemeinschaft zustande kommen kann.» Weil das sei es, was zählt: Das Hier und Jetzt – und der Zusammenhalt.

Elsa Horstkötter

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